Gesundheits- und Fitnesstrends 2024
Wie es gelingt, eine gesunde Zukunft zu gestalten
Wie gelingt es, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten, und welche Gesundheits- und Fitnesstrends sind 2024 angesagt? Zum Auftakt unserer neuen Serie haben wir uns mit Zukunftsforscher und Soziologe Tristan Horx unterhalten. Mit „The Future:Project“ will er neue Möglichkeiten für die nächste Gesellschaft ermitteln und dazu befähigen, ein besseres Leben zu leben. Im Gespräch teilt er sein Wissen über Trends und Zukunft mit uns.
Was sind die interessantesten Gesundheitstrends aus Ihrer Sicht als Zukunftsforscher?
Tristan Horx: Über allem schwebt KI als die große Lösung für alle Gesundheitsfragen. Für mich eine Verblendung, wenn nicht sogar eine Erlösungsfantasie. Natürlich wird KI funktionieren, wenn es um die Frage geht, wie man große Datenmengen ordentlich auswerten und vielleicht Zusammenhänge herstellen kann, die bisher noch nicht gesehen wurden. Momentan liegt die größere Herausforderung eher im psychologischen Bereich.
Noch achtsamer leben?
Ja, unter anderem. Die Einstellung, im Weltuntergangsmodus gefangen zu sein, grassiert. Das macht auf Dauer unglücklich. Die Generationsforschung sieht ganz deutlich bei jungen Menschen einen ansteigenden Pessimismus, den man in der Häufung sehr lange nicht gesehen hat. Kränkelt eine Gesellschaft im Geist, wirft das demokratiepolitische Fragen auf. Das spüren wir gerade. Gesundheitsfragen beginnen also hier: in der individuellen Psyche.
KI kann viel leisten in den nächsten Jahren. Ich denke an die Idee, einen Chip ins Gehirn zu pflanzen, der einen gut drauf sein lässt, einen sogenannten Neurolink – oder an Pflegeroboter, mit denen wir die Pflegekrise überwinden. Aber das wird allein so nicht funktionieren, denn wir kommen um den Faktor Mensch einfach nicht herum.
Die selbstverständliche Stärkung der eigenen mentalen Gesundheit wird also noch wichtiger in diesem Jahr?
Ja, mentale Gesundheitsfragen enttabuisieren wir gesellschaftlich gerade massiv. Wer in den 1960er Jahren zugab, er geht zur Therapie, den hat man nach zwei Wochen schon in der Klinik gesehen. Heute ist eine Therapie normaler Bestandteil des Lebens. Das ist ein großer Fortschritt.
Der Trend Period Positivity, also der positive Umgang mit der Regelblutung, ist in diesem Jahr heftig angesagt, oder?
Das ist richtig – weg mit den Tabus. Weibliche Gesundheit rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Alle Studien zeigen: Frauengesundheit wurde ewig vernachlässigt und verharmlost. Damit ist jetzt Schluss! Hier verändert sich viel. Außer dem offenen Umgang mit dem Thema übrigens auch bei der Geschlechtsparität von Ärzten. Nicht mehr länger prägen Männer das Gesundheitssystem für Frauen, sondern Frauen und Männer tun dies gemeinsam, ausgerichtet auf die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen.
Was steckt hinter dem Trend „Terrapy“?
Dahinter steckt die Idee, Menschen zu befähigen, sich aus sich selbst heraus zu stabilisieren, im Einklang mit der Umwelt, ohne sich dem Weltschmerz ausgeliefert zu fühlen. Das betrifft auch den Wert von gesunder, nachhaltiger Lebensmittelerzeugung im Einklang mit der Natur. Warum die Lebenserwartung in vielen anderen Erdteilen abnimmt, ist oftmals auf schlechte Ernährung und mangelnde Bewegung zurückzuführen. Die Leute dort sterben aufgrund von Zivilisationskrankheiten. Hier bei uns sind wir an diesen Themen dran und bekommen gerade 20 Jahre Lebenserwartung hinzu, werden dadurch allerdings auch zu Opfern unseres eigenen Erfolgs. Wir haben eine Generation, die sich sehr viel Wohlstand angeeignet hat und noch sehr lange lebt. Drei andere Generationen jedoch müssen sich die 40 % des restlichen Kuchens teilen. Das geht nicht lange gut, da sehe ich ein wachsendes, ungesundes Konfliktpotential. Die jungen Generationen haben das Thema Rente demografisch längst aufgegeben.
Was bedeutet all das für den persönlichen Lebensstandard?
Wir erwarten gerade eine große Erlösung aus dem Medizinsystem: die Pille gegen Krebs. Doch diese bleibt noch aus. Wobei, bei Alzheimererkrankungen und anderen neurologischen Erkrankungen deuten sich Lösungen an. Da sind wir knapp an einer Lösung dran – eine gute Nachricht. Auch retrovirale Behandlungen bei Aidserkrankungen sind medizinisch erfolgreich. Da sind wir gut.
Selbstbefähigung ist angesagt. Wir merken, dass Menschen ihre Gesundheit immer mehr in die eigene Hand nehmen wollen.
Ja genau, den größten Teil meiner Gesundheitsfragen kann ich nur individuell lösen. Das meiste kann man für sich selbst tun. Es gibt zwar Einzelschicksale, aber systemisch betrachtet, liegt die Verantwortung für die eigene Gesundheit viel mehr in der eigenen Hand als beim System. Das ist der Preis, den man heutzutage zahlt, wenn man 95 Jahre alt werden will.
Der Begriff Work-Life-Balance kommt von der Generation X, weil sie sich nicht länger kaputt arbeiten möchte. Was will Generation Y und Z?
Beide geben Work-Life-Balance gerade ein bisschen auf, weil Mehrleistung im jetzigen ökonomischen Rahmen wenig Sinn macht. Die Babyboomer waren ja sehr erfolgreich im industriellen Arbeitsmodell. Sie haben acht Stunden gearbeitet, dafür gab es Wohlstand. Das war eine andere ökonomische Realität. Dazu kommt heute die dauernde Erreichbarkeit übers Internet. Wir befinden uns im Übergang vom industriellen ins digitale Zeitalter. Das Neue ist noch nicht da, das Alte haben wir noch nicht losgelassen. Deshalb verfolgen viele Jüngere die Tendenz des „Quiet Quitting“ (Dienst nach Vorschrift). Als neuen Trend sehe ich Work-Life-Blending stark im Kommen: Freizeit und Leben werden miteinander vermengt. Das bedeutet, dass man beruflich als Mensch und nicht als Funktion gesehen wird und funktioniert am besten, wenn man das tut, was man mag.
Inwieweit liegt Ängstlichkeit im Trend?
Die Generation Z trinkt kaum Alkohol, raucht wenig, hat viel weniger Sex als andere Generationen. Sie werden wieder biederer und vorsichtiger. Sie nehmen weniger Drogen im Vergleich zu vorherigen Generationen. Sie haben ein hohes Sicherheitsbedürfnis und sind in vielen Lebensstilfragen wieder ganz konservativ. Der durchschnittliche 20-jährige sagt, Gesundheit ist ihm der höchste Stellenwert, danach kommt gleich Familie.
Als Zukunftsforscher stellen wir gespannt fest, dass die junge Generation einerseits schwer durch die Corona-Pandemie angeschlagen wurde und auf der anderen Seite durch das Enttabuisieren psychologischer Schwierigkeiten viel schneller Lösungen parat hat als wir früher bei Problemen.
Wie könnte eine lebens- und liebenswerte Zukunft aussehen?
30- bis 35-Jährige wollen wieder raus aus der Großstadt aufs Land ziehen, denn Stadt macht krank. Anonymität hat man im Netz genug, in kleineren Kommunen auf dem Land kann Verbundenheit entstehen. Telemedizin als Versorgungskonzept fürs Landleben zahlt voll darauf ein. Digitalisierung macht das möglich.
Klimaschutz ist wie erwähnt ein wichtiger Bestandteil. Wer schon mal ein paar Jahre in Ländern verbracht hat, die hier noch nicht so weit sind, weiß wovon ich spreche. Wir haben bei uns in Europa eine sich ständig verbessernde Grundvoraussetzung gelegt – da bin ich sehr optimistisch im Hinblick auf Nachhaltigkeits- und Energiefragen. Wir sollten nicht panisch sein, denn es läuft, wird aber noch ein bisschen dauern, bis sich der Erfolg einstellt. Mich freut besonders, dass wir endlich auch zur holistischen Gesundheit finden, die den Menschen mit all seinen Facetten ganzheitlich in den Blick nimmt. Das führt zu einem anderen, zeitgemäßen Gesundheitssystem.
Wie könnte das Gesundheitssystem sich entwickeln?
Derzeit haben wir ein Gesundheitssystem, das jede Menge Krankheiten behandeln muss. Das gesamte Modell sollte sich hin zu einer Art Gesundheitscoaching ändern, das Menschen gar nicht erst krank werden lässt. Dies muss besser vergütet werden, damit Menschen gesund bleiben. Man stelle sich einmal vor, man zahlt seinem Hausarzt eine Flatrate fürs Coaching und wenn man krank wird, dann setzt diese aus. Der Arzt steht dadurch viel mehr in der Verantwortung, mich gesund zu halten und bekommt dafür einen finanziellen Anreiz. Das dreht das Spiel komplett um.
Was ist der Stellenwert von gesunder Ernährung?
Wir werden zukünftig zunehmend Flexitarier. Der Fleischkonsum wird sich weiter reduzieren und anders getaktet und portioniert sein. Wir essen regional und qualitativ hochwertiger. Der Sonntagsbraten wird zurückkehren, wenn man so will.
Danke für das Gespräch.