Wechseljahre – Tabuthema mit ­starken Auswirkungen ©stock.adobe.com ValentinValkov
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Wechseljahre – Tabuthema mit ­starken Auswirkungen

Frauengesundheit ist ein Mega-Gesundheitstrend. Kein Wunder, denn Frauen sind eine wichtige Zielgruppe. Fast die Hälfte aller Beschäftigten sind hierzulande Frauen. Im Alter von 50 bis 64 Jahren sind sie sogar die am schnellsten wachsende Gruppe der Erwerbstätigen. Und sie stecken in einer der heißesten Phase des Lebens: 11 Millionen Frauen sind in den Wechseljahren. Viele davon leiden unter gesundheitliche Beschwerden, weshalb sie erwägen, radikal kürzer zu treten. Hinzu kommt, dass auch schon jüngere Frauen betroffen sind. In Zeiten des Fachkräftemangels wird dies zu einem gesellschaftlichen Problem und ist trotzdem nach wie vor ein Tabuthema. Wir sprachen darüber mit Prof. Dr. Stephanie Krüger.

 

Was passiert, wenn der vierwöchige Zyklus, an den sich Frauen jahrzehntelang gewöhnen mussten, ins Schwanken gerät?

Das hat vor allem hormonelle Gründe: Im weiblichen Körper gibt es zwei wichtige Geschlechtshormone: das bekannte Östrogen und das weniger bekannte Progesteron. Beide müssen in Balance vorhanden sein. Östrogen ist für die Ausprägung sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale und für Haut und Haare zuständig. Darüber hinaus regelt es die Gefäßfunktion und spielt eine wichtige Rolle im Herz-Kreislauf-System und beim Gedächtnis. Progesteron bereitet zum einen die Gebärmutterschleimhaut auf die Schwangerschaft vor, zum anderen hat es eine sehr wichtige Funktion im Gehirn: Es wirkt antidepressiv, beruhigend, angstlösend und trägt zu einer verbesserten Stressverarbeitung bei. Die Hormone werden überwiegend in den Eierstöcken gebildet und haben im gesamten Körper und eben auch im Gehirn ganz vielfältige Funktionen. Tritt die Frau in die Wechseljahre ein, fangen die Eierstöcke an, die Produktion dieser Hormone zu reduzieren. Dann wird der Körper natürlich an allen Stellen, wo diese Hormone gebraucht werden, nicht mehr ausreichend versorgt. Diese Phase kann bis zu 10 Jahre dauern und alle möglichen Symptome hervorrufen.

 

Welche Symptome sind das?

Geschlechtshormone sind nicht nur für die Fortpflanzung da, sondern steuern viele hormonelle Schaltkreise im menschlichen Körper. Das will immer keiner wahrhaben, aber ob es um den Wasserhaushalt, den Zuckerhaushalt, Stress oder um unsere Stimmung geht, überall spielen Hormone eine Rolle. Die Basis dafür sind bei Männern wie Frauen die Geschlechtshormone, bei Frauen aber viel ausgeprägter. In den Wechseljahren kann eine nachlassende Hormonproduktion oder eine Dysbalance zu körperlichen Symptomen wie Nachtschweiß, Schweißausbrüchen tagsüber, Gelenkschmerzen, Harnwegsinfekten, Bluthochdruck, Osteoporose, Trockenheit der Schleimhäute, Haarausfall, Falten, Gewichtszunahme und mehr führen. Auf der seelischen Ebene können Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhe, Depressionen, Weinerlichkeit, verminderte Belastbarkeit und Libidoverlust hinzukommen. Diese Symptome machen fast 30 % der Frauen richtig schlimm zu schaffen.

 

Und Männer sind außen vor?

Die männlichen Wechseljahre gibt es auch. Wenn die Produktion des körpereigenen Testosteron nachlässt, können Männer zum Beispiel eine sogenannte Gynäkomastie, also eine Brustvergrößerung entwickeln und ebenfalls unter Depressivität und Libidoverlust leiden. Das ist für Männer natürlich schwierig zu akzeptieren.

 

Warum sind Wechseljahre mit so viel Scham besetzt?

Genau da liegt das Problem, deshalb finde ich es gut, dass Sie als Krankenkasse das Thema aufgreifen und zur Sprache bringen. Zum einen wird es heruntergespielt: Wechseljahre, „da muss sie durch“, „die gibt es schon seit Anbeginn der Menschheit“. Frauen, die weniger Probleme damit haben, prägen das gesellschaftliche Bild, sodass diejenigen, die schwere, belastende Symptome haben, sich noch schlechter fühlen, weil sie weniger verstanden und anerkannt werden. Auch in der Ärzteschaft ist wenig bekannt, welche relevanten Funktionen Hormone haben. Viele denken dabei landläufig nur an Fruchtbarkeit und dass diese irgendwann mal nachlässt. Aber dass Hormone von der Knochendichte über den Blutdruck bis hin zur Gefäßregulation sehr viele körperliche Funktionen regulieren, geht unter. Deswegen werden die Folgen der Wechseljahre oftmals nicht mit Hormonveränderungen in Verbindung gebracht. Das ist das eine.

 

Das andere sind psychische Symptome, die sowieso in unserer Gesellschaft ein Tabuthema sind, richtig?

Ganz genau, das ist das andere. Wer läuft schon freiwillig durch die Gegend und sagt, ich bin depressiv oder habe Panikattacken? Ich kenne wirklich nur ganz wenige Menschen, die das so offen kommunizieren. Meist heißt die Antwort: Du bist schwach, bist ein Weichei, reiß dich mal zusammen, mach mal Yoga oder so ähnlich. Gesellschaftlich lässt sich eher zaghaft über Depressionen reden. Der dritte Punkt, der nicht zu unterschätzen ist: Frauen haben ein Problem damit, durch die Wechseljahre als alt zu gelten.

 

Auweia, wer will schon alt werden und so aussehen?

Eben, in unserer schnell wertenden Gesellschaft, beschleunigt durch Social Media, sind ja schon junge Frauen massiv unter Druck, verwenden Schönheitsfilter oder unterziehen sich OPs. Wie fühlt sich da erst eine Frau mit Anfang 40, die plötzlich Haarausfall bekommt oder deren Bindegewebe schlapp macht? Sie kann sich dadurch schnell auf dem beruflichen und gesellschaftlichen Abstellgleis fühlen.

 

Wechseljahre Beitrag

 

Ist das in anderen Ländern anders?

Ja, England, Finnland und Nordamerika sind stärker sensibilisiert. Dort können sich Frauen einen Tag freinehmen, wenn sie in den Wechseljahren sind und unter Schweißausbrüchen oder Stimmungsschwankungen leiden. Das ist arbeitgeberseitig festgelegt. Unternehmen gehen dort anders damit um, weil sie wissen, wie belastend die Wechseljahre sein können und wie wertvoll gut ausgebildete Fachkräfte sind.

 

 

Mit anderen Worten, Deutschland hat Nachholbedarf?

Das denke ich schon, denn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen steigen bei Frauen in der sogenannten Perimenopause drastisch an, also wenn die Wechseljahre losgehen und die Hormonumstellung kommt. Belastbarkeit und Konzentration nehmen ab, sogenannter Brain Fog tritt auf, bei dem man sich schlecht konzentrieren kann.

 

Was könnte helfen und nützlich sein?

Wenn Frau eine Nacht so geschwitzt hat, dass sie kein Auge zugetan, zweimal die Bettwäsche gewechselt hat und dreimal duschen war, kann sie am nächsten Tag weniger leisten. Wenn sie sich dann zurückziehen könnte, um etwas zu entspannen, vielleicht Schlaf nachzuholen, würde das die Produktivität im Berufsalltag deutlich verbessern. Dann bräuchten Frauen nicht zu beschließen, insgesamt kürzer zu treten. Ich habe zum Beispiel Lehrerinnen als Patientinnen, die sagen: „Wenn ich vor meiner Klasse stehe und plötzlich klatschnass geschwitzt bin, mir die Haare am Kopf kleben und meine Schüler anfangen zu lachen, dann heule ich.“ Diese Frauen waren vor den Wechseljahren taff und fühlen sich jetzt dünnhäutig und weniger belastbar. Das kann man beliebig auf andere Berufsgruppen ausweiten. Wenn Arbeitgeber sich darauf einstellen würden, wäre schon viel gewonnen.

 

Können auch jüngere Frauen in die Wechseljahre kommen?

Ja, das findet sich zwar eher seltener und, meistens liegt eine sogenannte primäre Ovarialinsuffizienz vor. Die Eierstöcke hören einfach früher mit der Hormonproduktion auf. Das kann sogar Frauen in ihren 20ern treffen. Bei ihnen geht die Familienplanung plötzlich nicht mehr auf, sie müssen ihre Lebensplanung komplett umdenken. Sie haben häufig die oben beschriebenen Symptome und wissen zunächst gar nicht, was mit ihnen los ist. Wenn die Diagnose dann gestellt ist, entwickeln nicht wenige eine Depression oder Ängste, weil sie sich ihr Leben anders vorgestellt haben als es sich dann entwickelt hat.

 

Was empfehlen Sie für einen besseren Umgang mit den Wechseljahren und mit den Beschwerden?

Erst mal müssen Frauen wissen, was ihre Hormone im Körper überhaupt machen, dass sie nicht nur für die Fortpflanzung und eine pralle Haut zuständig sind. Über Hormone und deren Wirkung im weiblichen Körper sollte besser aufgeklärt werden. Und dann müssen Frauen auch wissen, wann es mit den Wechseljahren losgeht, um vorbereitet zu sein.

 

Haben Sie den Eindruck, Frauen sind von ihren Wechseljahren überrascht?

Studienergebnisse aus den USA bestätigen das. Frauen zu Beginn der Wechseljahre wussten oft gar nicht, dass es sie ‚jetzt schon‘ trifft. Es gab nicht wenige, die nicht wussten, was Wechseljahre überhaupt sind. Die Kenntnis über das, was im eigenen Körper passiert, ist laut dieser Studie erschreckend gering. Ich gehe davon aus, dass das in Deutschland kaum anders ist. Aufgeklärte Frauen sollten dann auch das Selbstbewusstsein haben und eine entsprechende ärztliche Beratung einfordern, nach dem Motto: „Ich bin jetzt 51, ich hatte nie Bluthochdruck. Jetzt habe ich das plötzlich. Ich weiß, dass mein Östrogenmangel etwas damit zu tun haben kann. Verschreiben Sie mir bitte nicht nur Blutdrucksenker, sondern checken Sie auch meinen Hormonhaushalt.“

Leider verdienen Gynäkologen für eine wechseljahrsbezogene Beratung wenig, während anderes deutlich mehr Geld einbringt. Das Thema muss aber auf die Tagesordnung, damit sich etwas ändert und Frauen sich sowohl beim Hausarzt als auch Gynäkologen und selbstverständlich auch beim Psychiater gut aufgehoben fühlen. Die Aufklärung aber muss bei den Frauen selbst anfangen. Sie sollten die ersten Schritte für sich einleiten und sich offen eingestehen, in den Wechseljahren zu sein und dann aktiv werden.

 

Kann es weniger Lust auf Sex verursachen oder ist das ein Vorurteil?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn man, sagen wir mal, 25 Jahre verheiratet ist, brennt die Hütte sowieso nicht mehr so hell wie in den ersten Jahren. Das ist ein normaler Vorgang. Wenn Frauen in die Wechseljahre kommen, kann natürlich auch die Libido leiden. Frauen haben in dieser Zeit ja auch mit Schleimhauttrockenheit zu tun, das kann ihnen die Lust ebenfalls verleiden. Hier kann man ja durchaus gegensteuern, mit Vaginalcremes zum Beispiel. Ich will es aber nicht nur auf die Frau beziehen. Auch bei Männern kann die Libido deutlich reduziert sein. Ich habe nicht wenige Patientinnen in den Wechseljahren, die mir erzählen, sie würden gerne Sex haben, aber ihr Mann nicht. Der ist erstens bequemer geworden und hat zweitens einfach keine Lust mehr.

 

Gibt es auch Vorteile der Wechseljahre?

Die Frage wird mir tatsächlich oft gestellt. Hat das Schlechte auch sein Gutes? Die Frau sei doch jetzt endlich selbstbestimmt, sie kann nicht mehr schwanger werden und damit hat sie doch mehr sexuelle Unbeschwertheit. Endlich könne sie so leben, wie sie schon immer leben wollte, die Kinder seien aus dem Haus, die Wechseljahre ermöglichten somit viel mehr Freiheitsgrade. Es mag sein, dass ich ein Vorurteil habe, weil ich mit Frauen spreche, die wirklich einen hohen Leidensdruck haben. Ich selbst kann nichts wirklich Tolles daran finden. Das Positive, was ich sehe, ist, dass viele Frauen anfangen, sich auf sich selbst zu besinnen, denn es ist ja eine Zeit des Umbruchs.

 

Die gewandelte Frau?

Frau kann wieder selbstbestimmter leben. Aber die körperlichen und seelischen Folgen mit denen ja viele Frauen zu kämpfen haben, sind eben nicht wegzudiskutieren und Beschwerden sind vielfach stark und anhaltend. Immerhin kann diese Phase sieben bis zehn Jahre andauern, bis frau da durch ist – viel Lebenszeit. Es gibt natürlich auch Frauen, die keine oder sehr milde Symptome während der Wechseljahre haben, für diejenigen mag die Situation eine ganz andere sein.

 

Helfen Hormone?

Früher, damit meine ich noch vor 15, 20 Jahren, hat man Hormone verwendet, die von einer anderen Spezies entlehnt wurden. Man hat zum Beispiel aus der Plazenta von Pferden Hormone extrahiert und auf die Frau transferiert. Besser als nichts, könnte man sagen, es ging damals nicht anders. Das hat aber dazu geführt, dass Hormone zu Recht in Verruf geraten sind. In der modernen Hormontherapie kann man deren chemische Struktur, so wie sie im weiblichen Körper gebildet werden, natürlich auch im Labor nachbauen. Das ist schon einmal ein wichtiger Gesichtspunkt. Und ein weiterer Punkt ist, dass wir heute niedriger dosieren als früher. Das heißt, wir versuchen, die Frau so einzustellen, dass sie die Hormone hat, die sie eigentlich altersgemäß haben müsste. Natürlich halten wir den Prozess, der in den Eierstöcken abläuft, nicht auf. Unseren Alterungsprozess halten wir grundsätzlich mit nichts auf. Trotzdem betreiben wir eine Symptomlinderung, die weitreichende Konsequenzen für die Gesundheit der Frau hat. Es gibt auch exzellente Studien darüber, dass wir mit einer Hormontherapie zum Beispiel das Demenzrisiko bei Frauen senken können. Aber auch Herz-Kreislauferkrankungen, Osteoporose und andere körperliche Erkrankungen, die hormonabhängig sind, können günstig beeinflusst werden. Das Krebsrisiko muss individuell festgestellt werden – man sollte hier nicht pauschal grünes Licht geben, aber eben auch nicht pauschal Ängste schüren. Es gibt übrigens seit Anfang des Jahres ein neues Medikament, das nicht hormonell basiert ist und speziell gegen Schwitzen in den Wechseljahren entwickelt wurde – das ist eine interessante Alternative für Frauen, die vor allem unter diesem Symptom leiden und keine Hormon­therapie wünschen oder bei denen es Kontraindikationen gibt.

 

Wie können Frauen sich verhalten, um das Thema Wechseljahre zu enttabuisieren?

Offen damit umzugehen, hilft. Seit 2023 gibt es die Bewegung „Wir sind 9 Millionen“, bei der sich Frauen aus relevanten Berufsrichtungen, aber auch prominente Frauen der deutschen Öffentlichkeit zu ihren Wechseljahren bekennen und darüber erzählen, welche Odyssee sie hinter sich haben. Ich plädiere dafür, offen damit umzugehen, sich nicht dafür zu schämen. Für sich selbst etwas tun, ist wichtig: Ernährung, Kardiosport, Stressmanagement und sich Auszeiten nehmen. Das gibt einem das Gefühl, eine Situation unter Kontrolle zu haben und nicht allein zu sein. Ein echtes Thema, wenn eine Frau zu mir in Behandlung kommen: Sie denkt, sie sei die Einzige, mit der irgendwas nicht stimmt. Wenn ich dann erkläre, dass 25 bis 30 Prozent aller Frauen in den Wechseljahren, genau das haben, was sie schildert, und noch eine Vielzahl mehr, die es ein bisschen leichter haben, dann antwortet sie meist: „Das hilft und ist sehr beruhigend zu wissen.“

 

Danke für das Gespräch.

 

Prof. Dr. Stephanie Krüger leitet die Humboldt-Kliniken in Berlin Reinickendorf und Spandau. Der Schwerpunkt dieser Häuser, neben der Verpflichtung, allgemein psychiatrisch zu versorgen, ist die seelische Frauengesundheit. Dazu zählt auch der Umgang mit Wechseljahren.

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