Klimagesundes Verhalten stärken: Wir müssen nicht  das Klima retten,  sondern uns ©stock.adobe.com ValentinValkov
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Klimagesundes Verhalten stärken: Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns

Ein Gesundheitstrend 2024 dreht sich um „Terrapy“ als Reaktion auf die Klimakrise: Dabei geht es nicht nur darum, das Klima zu retten, sondern auch uns. Gesundheit beginnt mit sauberer Luft zum Atmen, genug Wasser zum Trinken, Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem guten Miteinander. Die Stiftung „Gesunde Erde – gesunde Menschen“ hat gerade gemeinsam mit dem BKK Dachverband, zu dem auch die energie-BKK zählt, ein Modellprojekt aufgelegt. Die Projektverantwortlichen Kerstin Blum und Henning Flaskamp erzählen uns im Interview mehr dazu.

Derzeit herrscht Weltuntergangsstimmung in den Medien und der Gesellschaft bezüglich des Klimawandels. Wie lässt sich Lust auf Zukunft erzeugen, die neuen Schwung bringt?

Kerstin Blum: Gerade weil immer mehr Leute erkennen, wie bedrohlich der Klimawandel für uns Menschen ist, bin ich zuversichtlich, dass wir auf einen sozialen Kipppunkt zusteuern. Die spannende Frage ist, wann wir ihn erreichen. Schon jetzt befürwortet eine Mehrheit mehr politischen Klimaschutz. Das kann uns Mut machen. Wenn diese schweigende Mehrheit endlich laut wird, kann es mit der Veränderung, die wir brauchen ganz schnell gehen.

Henning Flaskamp: Zukunft war mal ein Versprechen, erscheint heute aber vielen Menschen eher als Drohung. Das überwinden wir, indem wir uns wieder trauen, von einer guten, lebenswerten Zukunft zu träumen. Je lebhafter wir über Zukunft debattieren, desto größer wird auch die Motivation, das Nötige zu tun, damit wir die Zukunft erreichen, die wir wollen. Wir müssen nicht alle dieselbe Zukunft wollen – aber wir sollten alle eine Zukunft wollen.

 

Was macht die Stiftung „Gesunde Erde – gesunde Menschen“?

Kerstin Blum: Wir mobilisieren Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft für den Schutz der Planetaren Gesundheit. Dahinter steht die Idee, die Gesundheit von Mensch, Tier und Natur als Einheit zu betrachten. Das bedeutet: Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Deshalb hat unser Gründer, Dr. Eckart von Hirschhausen, die Stiftung 2020 ins Leben gerufen. Wir werben dafür, den Schutz unserer Lebensgrundlagen zur Priorität zu machen, in unserem eigenen Sinne. Wir müssen nicht das Klima retten – sondern uns.

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Was ist Ihr Job?

Henning Flaskamp: Bei meinem Job geht es darum, wie wir das machen: mit Kommunikation, die Kopf und Herz erreicht. Als Kommunikationsleitung ist es meine Aufgabe, dass unsere Botschaften ankommen und wir Menschen dafür begeistern, Teil der Lösung zu werden.

Kerstin Blum: Die Themen Klima und Nachhaltigkeit sind im Gesundheitswesen erst spät angekommen. Ich nutze meine 20 Jahre Erfahrung in diesem sehr komplexen System, um dazu beizutragen, dass sie auf die Agenda kommen und das Gesundheitswesen ins Handeln. Als Geschäftsführerin verantworte ich zudem die strategische Ausrichtung, organisatorische Leitung und langfristige Finanzierung der Organisation.

 

Planetare Gesundheit, persönliche Gesundheit sowie Gesundheit am Arbeitsplatz, wie hängt das zusammen?

Kerstin Blum: Eigentlich haben wir ein Riesenglück: Das, was wir für die Gesundheit des Planeten tun müssen, ist auch noch richtig gut für unsere Gesundheit. Nehmen wir das Beispiel Ernährung: Sie trägt bis zu einem Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen bei – und gleichzeitig haben wir in den Industrienationen eine Epidemie an ernährungsbedingten Erkrankungen. Pflanzen zu essen statt Tiere ist die einfache Lösung für beide Probleme. Jeder Einzelne kann mit seinem Verhalten schon einiges positiv verändern: für sich selbst und für die Umwelt. Aber wirkliche Veränderung erreichen wir nur mit besseren Rahmenbedingungen für klimagesundes Verhalten. Dabei spielen unter anderem Unternehmen eine große Rolle – sie gestalten das Umfeld, in dem ihre Beschäftigten oft den größten Teil ihres Tages verbringen.

 

Wie wollen Sie die Akteure (Unternehmen, Politik, Gesundheitswesen) motivieren?

Henning Flaskamp: Da sind zwei Aspekte entscheidend: Verantwortung und Nutzen. Einerseits sehe ich die Unternehmen in einer Verantwortung, die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden im Blick zu haben und dabei auch die Grundlagen für deren Gesundheit, also ein intaktes Ökosystem, nicht zu vergessen. Das gilt nicht zuletzt in Hinblick auf das eigene Geschäftsmodell: Auch wenn alle Mitarbeitenden zur Arbeit radeln und nur noch Gemüse essen, reicht das nicht aus, wenn nicht gleichzeitig eine ernstgemeinte und ambitionierte Dekarbonisierungs-Strategie umgesetzt wird. Betriebe haben aber auch einen klaren Nutzen: weniger Krankheitstage, glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation und gute Argumente im Employer Branding. Der Wettbewerb gerade um junge Fachkräfte wird immer härter. Da haben Unternehmen, die zeigen, dass sie sich um die Zukunft ihrer jungen Beschäftigten kümmern, deutlich bessere Chancen, gute Leute zu sich zu holen.

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Was sind Inhalte und Bausteine? Wie soll ein Bewusstseinswandel gelernt und vermittelt werden?

Henning Flaskamp: In einem Workshop mit Führungskräften der Unternehmen vermitteln meine Kollegin Emily Volk und ich Grundwissen um die Planetare Gesundheit. Wir entwickeln mit den Teilnehmenden konkrete Ideen, welche Hebel die Betriebe haben, um Klimagesundheit zu fördern. Eine Broschüre unterstützt die Kommunikation zum Thema an die Breite der Beschäftigten. Und eine interaktive Website hilft dabei, direkt ins Handeln zu kommen.

 

Ganz kurz, wie lässt sich die Klimakommunikation positiv aufladen?

Kerstin Blum: Immer wieder zeigen Medien planschende Kinder im Freibad, wenn sie über tödliche Hitzewellen berichten. Auch Bilder trauriger Eisbären und ausgetrockneter afrikanischer Steppen, wenn es um klimawandelbedingte Dürren geht, erwecken den Eindruck: Das ist ganz weit weg von mir! Dabei ist die Klimakrise bereits da und Europa als Kontinent besonders bedroht. Wir müssen in der Kommunikation näher ran an den Alltag der Menschen, an das, was ihnen wichtig ist. Wir müssen die Gefahr sichtbar machen, aber auch zeigen, wo positive Veränderung bereits passiert, und warum es Hoffnung gibt auf eine Zukunft, die sogar schöner und gesünder ist als heute.


Von wem wird das Projekt wissenschaftlich begleitet?

Kerstin Blum: Ein Team des Instituts für klimagesundes Verhalten (IPB) Erfurt unterstützt uns bei der Definition von Wirkungszielen und deren Evaluation. Das ist zentral, weil es sich um ein Modellprojekt handelt. Wir möchten, dass andere von unseren Erfahrungen profitieren und unseren Ansatz adaptieren können. Deshalb haben wir uns zwei Expertinnen ins Team geholt, die viel Erfahrung damit haben, kommunikations-, sozial- und verhaltenswissenschaftliche Evidenz zu Klima- und Gesundheitsverhalten zu liefern.

Falschinformationen sind immer präsenter und gerade die Bereiche Klima und Gesundheit sind davon betroffen. In den sozialen Medien hat man manchmal das Gefühl, dass jeder in dieser Hinsicht etwas anderes anpreist (vor allem bei Gesundheit und Ernährung). Wie kann ich erkennen, was richtig ist? Gibt es überhaupt ein „richtig“?

Henning Flaskamp: Es gibt einen wissenschaftlichen Konsens dazu, dass der Klimawandel menschengemacht ist und was ihn antreibt. Da lässt sich durchaus zwischen Fakten und Desinformation unterscheiden. Fleisch ist grundsätzlich klimaschädlicher als Hülsenfrüchte. Welches Verhalten auf der individuellen Ebene gesund ist, ist schon etwas schwieriger zu beantworten. Da spielt zum Teil die individuelle medizinische Vorgeschichte natürlich eine entscheidende Rolle.

Kerstin Blum: Vielleicht geht es auch weniger darum, zu 100 % sagen zu wollen, was „richtig“ ist. Wir bemühen uns erst einmal darum, das Verständnis von „Normalität“ zu verändern. Ist jeden Tag Fleisch zu essen normal? Ist es normal, für jeden kurzen Weg das Auto zu nehmen? Wer hat sich eigentlich gewünscht, dass unsere Städte so viel Beton und Metall, aber so wenig Grün haben? So viel von dem, was wir als normal empfinden, ist schlecht für uns und den Planeten. Die Entscheidung, wie sich Menschen verhalten, können und wollen wir ihnen nicht abnehmen. Aber wir wollen herausfordern, was als Normalität empfunden wird.

 

Der BKK Dachverband startet das Modellprojekt: Welche Rolle spielen Krankenkassen wie die energie-BKK und ihre Mitglieder dabei?

Kerstin Blum: Die Krankenkassen sind als Ansprechpartner und Anwälte ihrer Versicherten wichtige Player wenn es darum geht, gemeinsam eine gesunde – und auch klimagesunde Gesellschaft zu gestalten. Gerade in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen gestalten sie ein Setting, das für sehr viele Menschen einen großen Teil ihres Alltags bestimmt. Wir freuen uns, dass wir mit unserem Projekt einen Beitrag hierzu leisten können.

 

Danke für das Gespräch.

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